Lauter Ärger
93 Dezibel laut dürfte die Musik in Discos sein. Ein -Test zeigt: Kaum ein Klub hält sich an den Grenzwert.
Zwischen klebrigen Plastikbechern und Zigarettenstummeln liegen vereinzelt gelbe Ohrenpfropfen. Es ist morgens um drei, das tanzende Volk hat sich zu Hause schlafen gelegt - wenn es denn nicht von lästigem Ohrensausen um den Schlaf gebracht wird. Im Luzerner Musikklub «Pravda» waren an diesem Abend Hits aus den Siebziger- und Achtzigerjahren angesagt. Aus den Boxen dröhnte die Musik mit durchschnittlich 110,7 Dezibel. Das sind gut 17 Dezibel über dem gesetzlichen Höchstwert von 93 Dezibel.
Als Bagatelle kann das nicht abgetan werden. Die Dezibel-Skala verläuft logarithmisch. Das heisst, drei Dezibel mehr entsprechen einer Verdoppelung des Lärms, zehn Dezibel mehr empfinden wir als zehnmal lauter.
Das «Pravda» in Luzern ist ein Paradebeispiel für übermässig laute Musik.
hat in fünf Schweizer Musikklubs die Lautstärke gemessen.
Das Resultat: Keines der Lokale hat den gesetzlich geregelten Grenzwert eingehalten.
Die Musik in den Schweizer Discotheken ist viel zu laut. Trotzdem - oder gerade deswegen - versammeln sich dort Wochenende für Wochenende Tausende von Tanzhungrigen. Und die wollens, glaubt man den Veranstaltern, möglichst laut. «Wenn man sich an die Richtlinie hält, fehlt die nötige Lautstärke, um die Stimmung zum Kochen zu bringen», sagt Beat Schaub, Präsident des Zürcher Regionalverbandes der Unterhaltungslokale (Asco). Stein des Anstosses ist die «Schall- und Laserverordnung». Schaub sieht in der Verordnung einen Frontalangriff auf die Musikszene.
Der Lärmpegel für Konzerte, Discos und andere öffentliche Veranstaltungen ist seit vier Jahren gesetzlich geregelt. Gestützt auf das Umweltschutzgesetz ist die «Schall- und Laserverordnung» am 1. April 1996 in Kraft getreten, der stündliche Mittelwert darf 93 Dezibel nicht überschreiten. In Ausnahmefällen werden 100 Dezibel bewilligt. Dann jedoch ist der Veranstalter verpflichtet, einen Gehörschutz an die Besucher abzugeben. Unter vielen Jugendlichen sind die gelben Pfropfen allerdings verpönt. «Da kann ich ja gleich zu Hause bleiben», sagt Gian-Reto, der sich jedes Wochenende mindestens vier Stunden ins Dezibelmeer stürzt und nach eigenen Angaben noch keine Einbussen am Gehör bemerkt.
«Wir müssen etwas gegen die Verordnung unternehmen», sagt Jürg Burkhardt, Geschäftsführer des «Palais X-tra» in Zürich. Er unterstützt damit Asco-Chef Beat Schaub. Der lädt am 20. Juni Klubbetreiber, Konzert- und Partyveranstalter und Musiker in Zürich zu einer Informationveranstaltung ein. «Wir tun etwas gegen das Ende von Konzert- und Tanzveranstaltungen», sagt Schaub. Grenzwerte seien schon richtig, aber nicht diese.
Andere Klubbetreiber schicken sich in die Vorgaben. Im Zürcher Inlokal «Kaufleuten» wurde vor einigen Monaten ein Limiter eingebaut, der eine Überschreitung des Grenzwertes verunmöglicht. «Seither reklamieren unsere Gäste, die Musik sei zu leise, um zu tanzen», ärgert sich Geschäftsführer Bruno Emele. Auch er findet, dass die Musik in vielen Klubs zu laut ist. Doch: «Das Gesetz ist unsensibel und realitätsfremd.»
Auch in der «Limmatbar» in Zürich wurde ein Limiter installiert. Der von gemessene Schallpegel zeigt dort einen Mittelwert von 93,4 Dezibel an, nur leicht über dem Grenzwert. «Ich finde es gut, dass es die Verordnung gibt», sagt Geschäftsführer Frank Lang. «Die Ohren müssen geschützt werden.»
Zwei Stunden später einige Strassenecken weiter: Das Messgerät des Akustikers misst 97,8 Dezibel im Zürcher Musikklub «Supermarket». «Die Leute amüsieren sich sonst einfach nicht mehr», sagt Kemal Kadic, Geschäftsführer des «Supermarket».
Im Klub «Utopia» in Basel hat 101,1 Dezibel gemessen. Klubbetreiberin Esther Strotsner kann sich den hohen Wert nicht erklären: «Wir haben für viel Geld einen Limiter eingebaut.» Dennoch ärgert sich Strotsner über die gesetzliche Bevormundung Erwachsener. «Die Leute sind wütend, sie laufen uns davon», sagt sie.
Ähnliche Erfahrungen macht Asco-Chef Beat Schaub: «Seit Kontrollen durchgeführt werden, ist die Stimmung weg.» Ist sie trotzdem spürbar, trägt das Publikum oft selbst zum Lärm bei. Schaub hat erlebt, dass sein Pegel auf einhundert Dezibel stieg, als die Leute beim Tanzen schrien. «Die Besucher stehlen mir die Dezibel», klagt der DJ, der ab und zu in Zürich im «Kaufleuten» auflegt.
Für den Vollzug der Verordnung sind in der Regel die Kantone zuständig - und kommen ihrer Pflicht unterschiedlich nach. Nicht überall sind die gleichen Behörden zuständig, und vor allem sind die Lärmbekämpfer bei den Kontrollen verschieden streng.
In Zürich hat die Stadtpolizei seit 1998 46 Messungen unternommen. Laut Rudolf Müller, Chef der Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei Zürich, mussten 17 Lokalinhaber ermahnt werden, fünf wurden wegen wiederholter Grenzüberschreitung verzeigt.
Der Kanton Bern hat in Sachen Lärmbekämpfung in der Schweiz eine Vorreiterrolle gespielt. Seit 1985 werden die Berner Tanz- und Unterhaltungsbetriebe von der Kantonspolizei kontrolliert und bei Überschreitungen verzeigt. «Rund ein Drittel der Messungen, die wir seither gemacht haben, waren über dem Grenzwert», zieht Martin Widmer von der Lärmfachstelle der Kapo Bern eine Bilanz.
Auch in Basel haben die Discjockeys und Lokalbetreiber mit den Behörden zu kämpfen. Pro Wochenende werden in der Nordwestschweiz zwei bis drei Lokale unter den Schallpegelmesser genommen. Ist ein Lokal zweimal über dem Grenzwert, wird es verzeigt. Eine Busse beläuft sich auf rund zweitausend Franken. «Wenn das so weitergeht, können wir einpacken», ärgert sich Esther Strotsner vom Klub «Utopia».
In einem Punkt sind sich die DJs einig: Sie wollen niemanden gesundheitlich gefährden, lautet der Tenor. Vielmehr gehe es um die gute Musik. «Es ist mir ein grosses Anliegen, dass die Leute nicht zugedröhnt werden», betont beispielsweise der Luzerner DJ, ehemalige Mister Hitparade und Musiker Gabriel Felder. Dennoch brauche es einen gewissen Level, damit die Musik im Bauch gespürt werde. Beat Hohmann, Leiter des Bereichs Akustik bei der Suva in Luzern, weiss jedoch: «Die starken Bässe der Technomusik spürt man auch bei weniger Dezibel.» Also spiele die Lautstärke gar nicht die wichtigste Rolle.
Felder legt jeden Donnerstag im «Pravda» in Luzern auf - auch an jenem Abend, als im «Pravda» einen Schallpegel von 110,7 Dezibel gemessen hatte. Der Luzerner DJ ist vom Ergebnis überrascht: «Da muss ich wohl mal über die Bücher gehen.» Auch die Geschäftsführerin des «Pravda», Daniela Cecconi, kann sich den hohen Wert nicht erklären: «Wir haben einen Limiter, der auf 98 Dezibel eingestellt ist - der muss wohl defekt sein.» Defekt oder nicht - erlaubt sind nur 93 Dezibel.
In Luzern bleiben die Dezibelbolzer unbehelligt. Die Innerschweizer Behörden sind beim Vollzug der Schall- und Laserverordnung sehr mild. Es überrascht also wenig, dass die DJs in der Innerschweiz so laut aufdrehen, wie sie wollen. «Wir haben bis jetzt niemanden verzeigt», sagt Beat Marty von der Lärmbekämpfungsstelle beim Amt für Umweltschutz in Luzern. Erst vor einem Jahr haben die Innerschweizer mit den Lärmmessungen begonnen. Von den seither vierzig durchgeführten Kontrollen sind beinahe die Hälfte der Lokale über dem gesetzlich geregelten Grenzwert von 93 Dezibel gelegen.
Auch im Luzerner Musikklub «Penthouse» hat an diesem Abend einen Schallpegel von 99,9 Dezibel gemessen. Trotzdem wird nicht eingegriffen. Lärmbekämpfer Beat Marty begründet die Luzerner Haltung: «Die Verordnung ist weltfremd und mehr als diskutabel.» Der Luzerner glaubt, dass den Veranstaltern Tür und Tor offen stünden, jede Verzeigung anzufechten.
Was in Basel tatsächlich geschehen ist: Die Abteilung Lärmschutz hat in einem Gerichtsfall gegen einen Klub den Prozess verloren, weil dieser einen Beleg der gemessenen Werte vorzeigen konnte. «Wir konnten nicht beweisen, dass der Limiter manipuliert war», sagt der Basler Lärmbekämpfer Peter Mohler.
Die Hahnenkämpfe zwischen den Leuten der Musikbranche und den Behörden sind noch lange nicht ausgestanden. Ausgeschlossen von den Diskussionen bleiben die Betroffenen selbst, die Tanzenden. Musikhören war immer ein Grundbedürfnis des Menschen, dazu zu tanzen eine Leidenschaft. Mit dem Aufkommen von Stilrichtungen wie Techno, House und Trance ist die Musik lauter geworden und das Gehör der Tanzenden damit gefährdeter. Wer immer schlechter hört, braucht immer lautere Musik.
Eine von der Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) durchgeführte Studie zeigt, dass rund zwanzig Prozent der Jugendlichen einen messbaren musikbedingten Gehörschaden aufweisen. Eine Befragung, welche die beiden Gesundheitsämter unter Jugendlichen durchgeführt haben, ergab ausserdem, dass mehr als 60 Prozent die Musikveranstaltungen als zu laut empfinden. «Bei jungen Leuten nimmt vor allem das Risiko von akuten Gehörschäden wie Tinnitus, Hörsturz oder Rauschen in den Ohren zu», weiss Beat Hohmann von der Suva. Bei einem Tinnitus werden Geräusche im Kopf oder in den Ohren wahrgenommen, die es gar nicht gibt.
Die Tendenz solcher Schäden ist steigend.
Entscheidend ist jedoch nicht der hohe Pegel, der auf das Gehör einwirkt, sondern die Dauer der Einwirkung.
Bei einer übermässigen Lärmbelastung an einem Abend entsteht ein wattiges Gefühl in den Ohren. Kritisch wird es, wenn sich solche Überbelastungen wiederholen. Dann nämlich wird das Innenohr geschädigt und kann sich nicht mehr erholen.
«Operativ oder medizinisch können wir gar nichts gegen einen Hörschaden unternehmen», erklärt Thomas Spillmann, leitender Arzt für Audiologie am Universitätsspital Zürich. Seine Warnungen stossen jedoch oft auf taube Ohren.
Zwischen klebrigen Plastikbechern und Zigarettenstummeln liegen vereinzelt gelbe Ohrenpfropfen. Es ist morgens um drei, das tanzende Volk hat sich zu Hause schlafen gelegt - wenn es denn nicht von lästigem Ohrensausen um den Schlaf gebracht wird. Im Luzerner Musikklub «Pravda» waren an diesem Abend Hits aus den Siebziger- und Achtzigerjahren angesagt. Aus den Boxen dröhnte die Musik mit durchschnittlich 110,7 Dezibel. Das sind gut 17 Dezibel über dem gesetzlichen Höchstwert von 93 Dezibel.
Als Bagatelle kann das nicht abgetan werden. Die Dezibel-Skala verläuft logarithmisch. Das heisst, drei Dezibel mehr entsprechen einer Verdoppelung des Lärms, zehn Dezibel mehr empfinden wir als zehnmal lauter.
Das «Pravda» in Luzern ist ein Paradebeispiel für übermässig laute Musik.
hat in fünf Schweizer Musikklubs die Lautstärke gemessen.
Das Resultat: Keines der Lokale hat den gesetzlich geregelten Grenzwert eingehalten.
Die Musik in den Schweizer Discotheken ist viel zu laut. Trotzdem - oder gerade deswegen - versammeln sich dort Wochenende für Wochenende Tausende von Tanzhungrigen. Und die wollens, glaubt man den Veranstaltern, möglichst laut. «Wenn man sich an die Richtlinie hält, fehlt die nötige Lautstärke, um die Stimmung zum Kochen zu bringen», sagt Beat Schaub, Präsident des Zürcher Regionalverbandes der Unterhaltungslokale (Asco). Stein des Anstosses ist die «Schall- und Laserverordnung». Schaub sieht in der Verordnung einen Frontalangriff auf die Musikszene.
Der Lärmpegel für Konzerte, Discos und andere öffentliche Veranstaltungen ist seit vier Jahren gesetzlich geregelt. Gestützt auf das Umweltschutzgesetz ist die «Schall- und Laserverordnung» am 1. April 1996 in Kraft getreten, der stündliche Mittelwert darf 93 Dezibel nicht überschreiten. In Ausnahmefällen werden 100 Dezibel bewilligt. Dann jedoch ist der Veranstalter verpflichtet, einen Gehörschutz an die Besucher abzugeben. Unter vielen Jugendlichen sind die gelben Pfropfen allerdings verpönt. «Da kann ich ja gleich zu Hause bleiben», sagt Gian-Reto, der sich jedes Wochenende mindestens vier Stunden ins Dezibelmeer stürzt und nach eigenen Angaben noch keine Einbussen am Gehör bemerkt.
«Wir müssen etwas gegen die Verordnung unternehmen», sagt Jürg Burkhardt, Geschäftsführer des «Palais X-tra» in Zürich. Er unterstützt damit Asco-Chef Beat Schaub. Der lädt am 20. Juni Klubbetreiber, Konzert- und Partyveranstalter und Musiker in Zürich zu einer Informationveranstaltung ein. «Wir tun etwas gegen das Ende von Konzert- und Tanzveranstaltungen», sagt Schaub. Grenzwerte seien schon richtig, aber nicht diese.
Andere Klubbetreiber schicken sich in die Vorgaben. Im Zürcher Inlokal «Kaufleuten» wurde vor einigen Monaten ein Limiter eingebaut, der eine Überschreitung des Grenzwertes verunmöglicht. «Seither reklamieren unsere Gäste, die Musik sei zu leise, um zu tanzen», ärgert sich Geschäftsführer Bruno Emele. Auch er findet, dass die Musik in vielen Klubs zu laut ist. Doch: «Das Gesetz ist unsensibel und realitätsfremd.»
Auch in der «Limmatbar» in Zürich wurde ein Limiter installiert. Der von gemessene Schallpegel zeigt dort einen Mittelwert von 93,4 Dezibel an, nur leicht über dem Grenzwert. «Ich finde es gut, dass es die Verordnung gibt», sagt Geschäftsführer Frank Lang. «Die Ohren müssen geschützt werden.»
Zwei Stunden später einige Strassenecken weiter: Das Messgerät des Akustikers misst 97,8 Dezibel im Zürcher Musikklub «Supermarket». «Die Leute amüsieren sich sonst einfach nicht mehr», sagt Kemal Kadic, Geschäftsführer des «Supermarket».
Im Klub «Utopia» in Basel hat 101,1 Dezibel gemessen. Klubbetreiberin Esther Strotsner kann sich den hohen Wert nicht erklären: «Wir haben für viel Geld einen Limiter eingebaut.» Dennoch ärgert sich Strotsner über die gesetzliche Bevormundung Erwachsener. «Die Leute sind wütend, sie laufen uns davon», sagt sie.
Ähnliche Erfahrungen macht Asco-Chef Beat Schaub: «Seit Kontrollen durchgeführt werden, ist die Stimmung weg.» Ist sie trotzdem spürbar, trägt das Publikum oft selbst zum Lärm bei. Schaub hat erlebt, dass sein Pegel auf einhundert Dezibel stieg, als die Leute beim Tanzen schrien. «Die Besucher stehlen mir die Dezibel», klagt der DJ, der ab und zu in Zürich im «Kaufleuten» auflegt.
Für den Vollzug der Verordnung sind in der Regel die Kantone zuständig - und kommen ihrer Pflicht unterschiedlich nach. Nicht überall sind die gleichen Behörden zuständig, und vor allem sind die Lärmbekämpfer bei den Kontrollen verschieden streng.
In Zürich hat die Stadtpolizei seit 1998 46 Messungen unternommen. Laut Rudolf Müller, Chef der Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei Zürich, mussten 17 Lokalinhaber ermahnt werden, fünf wurden wegen wiederholter Grenzüberschreitung verzeigt.
Der Kanton Bern hat in Sachen Lärmbekämpfung in der Schweiz eine Vorreiterrolle gespielt. Seit 1985 werden die Berner Tanz- und Unterhaltungsbetriebe von der Kantonspolizei kontrolliert und bei Überschreitungen verzeigt. «Rund ein Drittel der Messungen, die wir seither gemacht haben, waren über dem Grenzwert», zieht Martin Widmer von der Lärmfachstelle der Kapo Bern eine Bilanz.
Auch in Basel haben die Discjockeys und Lokalbetreiber mit den Behörden zu kämpfen. Pro Wochenende werden in der Nordwestschweiz zwei bis drei Lokale unter den Schallpegelmesser genommen. Ist ein Lokal zweimal über dem Grenzwert, wird es verzeigt. Eine Busse beläuft sich auf rund zweitausend Franken. «Wenn das so weitergeht, können wir einpacken», ärgert sich Esther Strotsner vom Klub «Utopia».
In einem Punkt sind sich die DJs einig: Sie wollen niemanden gesundheitlich gefährden, lautet der Tenor. Vielmehr gehe es um die gute Musik. «Es ist mir ein grosses Anliegen, dass die Leute nicht zugedröhnt werden», betont beispielsweise der Luzerner DJ, ehemalige Mister Hitparade und Musiker Gabriel Felder. Dennoch brauche es einen gewissen Level, damit die Musik im Bauch gespürt werde. Beat Hohmann, Leiter des Bereichs Akustik bei der Suva in Luzern, weiss jedoch: «Die starken Bässe der Technomusik spürt man auch bei weniger Dezibel.» Also spiele die Lautstärke gar nicht die wichtigste Rolle.
Felder legt jeden Donnerstag im «Pravda» in Luzern auf - auch an jenem Abend, als im «Pravda» einen Schallpegel von 110,7 Dezibel gemessen hatte. Der Luzerner DJ ist vom Ergebnis überrascht: «Da muss ich wohl mal über die Bücher gehen.» Auch die Geschäftsführerin des «Pravda», Daniela Cecconi, kann sich den hohen Wert nicht erklären: «Wir haben einen Limiter, der auf 98 Dezibel eingestellt ist - der muss wohl defekt sein.» Defekt oder nicht - erlaubt sind nur 93 Dezibel.
In Luzern bleiben die Dezibelbolzer unbehelligt. Die Innerschweizer Behörden sind beim Vollzug der Schall- und Laserverordnung sehr mild. Es überrascht also wenig, dass die DJs in der Innerschweiz so laut aufdrehen, wie sie wollen. «Wir haben bis jetzt niemanden verzeigt», sagt Beat Marty von der Lärmbekämpfungsstelle beim Amt für Umweltschutz in Luzern. Erst vor einem Jahr haben die Innerschweizer mit den Lärmmessungen begonnen. Von den seither vierzig durchgeführten Kontrollen sind beinahe die Hälfte der Lokale über dem gesetzlich geregelten Grenzwert von 93 Dezibel gelegen.
Auch im Luzerner Musikklub «Penthouse» hat an diesem Abend einen Schallpegel von 99,9 Dezibel gemessen. Trotzdem wird nicht eingegriffen. Lärmbekämpfer Beat Marty begründet die Luzerner Haltung: «Die Verordnung ist weltfremd und mehr als diskutabel.» Der Luzerner glaubt, dass den Veranstaltern Tür und Tor offen stünden, jede Verzeigung anzufechten.
Was in Basel tatsächlich geschehen ist: Die Abteilung Lärmschutz hat in einem Gerichtsfall gegen einen Klub den Prozess verloren, weil dieser einen Beleg der gemessenen Werte vorzeigen konnte. «Wir konnten nicht beweisen, dass der Limiter manipuliert war», sagt der Basler Lärmbekämpfer Peter Mohler.
Die Hahnenkämpfe zwischen den Leuten der Musikbranche und den Behörden sind noch lange nicht ausgestanden. Ausgeschlossen von den Diskussionen bleiben die Betroffenen selbst, die Tanzenden. Musikhören war immer ein Grundbedürfnis des Menschen, dazu zu tanzen eine Leidenschaft. Mit dem Aufkommen von Stilrichtungen wie Techno, House und Trance ist die Musik lauter geworden und das Gehör der Tanzenden damit gefährdeter. Wer immer schlechter hört, braucht immer lautere Musik.
Eine von der Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) durchgeführte Studie zeigt, dass rund zwanzig Prozent der Jugendlichen einen messbaren musikbedingten Gehörschaden aufweisen. Eine Befragung, welche die beiden Gesundheitsämter unter Jugendlichen durchgeführt haben, ergab ausserdem, dass mehr als 60 Prozent die Musikveranstaltungen als zu laut empfinden. «Bei jungen Leuten nimmt vor allem das Risiko von akuten Gehörschäden wie Tinnitus, Hörsturz oder Rauschen in den Ohren zu», weiss Beat Hohmann von der Suva. Bei einem Tinnitus werden Geräusche im Kopf oder in den Ohren wahrgenommen, die es gar nicht gibt.
Die Tendenz solcher Schäden ist steigend.
Entscheidend ist jedoch nicht der hohe Pegel, der auf das Gehör einwirkt, sondern die Dauer der Einwirkung.
Bei einer übermässigen Lärmbelastung an einem Abend entsteht ein wattiges Gefühl in den Ohren. Kritisch wird es, wenn sich solche Überbelastungen wiederholen. Dann nämlich wird das Innenohr geschädigt und kann sich nicht mehr erholen.
«Operativ oder medizinisch können wir gar nichts gegen einen Hörschaden unternehmen», erklärt Thomas Spillmann, leitender Arzt für Audiologie am Universitätsspital Zürich. Seine Warnungen stossen jedoch oft auf taube Ohren.